Lebensart Interview

„Das fühlt sich so angekommen an“

Aus der WG geplaudert: Ein Gespräch über „geretteten“ Wohnraum, das Konsensprinzip und den täglichen Abwasch – mit Friederike aus dem „Stattschloss“ in Erfurt-Nord und Luise vom Wohnopia e.V.

In Erfurt entschließen sich immer mehr Leute ein Mietshaus zu kaufen, um dann gemeinschaftlich darin zu wohnen.  Auch Sie sind Fan von solchen gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Warum eigentlich?

Friederike: Ich fand die Idee mit netten Leuten zusammen zu wohnen und über alles, was im Haus passiert, selbst zu entscheiden, sehr sympathisch. Ich bin da mehr durch Zufall dazu gekommen.

Luise: Es isteinfach eine schöne Erfahrung in Gemeinschaft zu leben, am besten über mehrere Generationen hinweg. Aber unser Hauptgrund ist ja nicht nur einfach ein Haus zu kaufen, sondern auf lange Sicht auch günstigen Wohnraum zu schaffen. Wir erleben es doch gerade, dass die Mieten extrem angezogen haben. Und man hat als normaler Bürger wenig Möglichkeiten etwas dagegen zu tun. Wir wollen dieser Willkür einfach nicht länger ausgeliefert sein.

Sie sind im „Wohnopia e.V.“ organisiert, einem Zusammenschluss von Bürgern, die ein soziales Hausprojekt schaffen wollen.

Luise: Ja, und wir merken sehr deutlich, dass es für eine Gruppe mit begrenzten Möglichkeiten kaum möglich ist, ein Haus zu kaufen, wenn immer schon ein halbes Dutzend Investoren im Hintergrund steht, die locker das Vier- oder Fünffache hinblättern können.  Das ist auch unsere Kritik an der Stadtverwaltung, dass es immer nur um den Meistbietenden geht. Ich würde in Erfurt gern mal ein Ausschreibungsverfahren erleben, wo auch soziale Aspekte und der Mehrwert für die Stadtteilbewohner eine Rolle spielen.

Friederike, Ihre Gruppe hat es geschafft, sie sind in der Magdeburger Allee in ein altes Mietshaus eingezogen und haben es „Stattschloss“ genannt. Wie haben Sie das hingekriegt? 

Friederike: Wahrscheinlich waren wir von zwei Interessenten die Meistbietenden.

Darf man fragen, was es gekostet hat?

Friederike: So um die 190.000 Euro.Das zahlen andere für ein Eigenheim, wir teilen uns das durch zehn Leute.

 

Ein ganz schöner Batzen für einen Altbau, der lange leer gestanden hat. Auf der einen Seite wollen Sie langfristig Sicherheit, auf der anderen stürzen Sie sich in Schulden. Sie haben doch alle nicht das dicke Portmonee. Ist das nicht ein Widerspruch?

Friederike:Es ist klar, das Geld ist nicht einfach da und man muss seine Ansprüche an die Möglichkeiten anpassen. Wir haben über so genannte Direktkredite 42.000 Euro eingesammelt, das war unser Eigenkapital, das wir brauchten, um bei der Bank einen Kredit aufzunehmen.

Bei wem haben Sie „gesammelt“?

Friederike: vor allem bei Freunden, Verwandten und Bekannten. Wir haben gesagt, wenn du was angespart hast und es nicht sofort verwenden willst, dann kannst du das Geld bei der Bank lagern, du kannst es aber auch uns als Kredit geben und es sinnvoll in einem sozialen Hausprojekt anlegen. Immerhin sind so 42.000 Euro zusammengekommen.

Luise: Das klingt immer so, als ob die Leute einem das Geld schenken würden. So ist das aber nicht, man vereinbart ja Zinsen und Laufzeit. Die Tilgung erfolgt dann über die laufende Miete. Wir sind praktisch Mieter und Vermieter in einer Person. Wir zahlen Miete an uns selbst.

Ist das nicht anstrengend, immer wieder Kohle in eigener Sache einwerben zu müssen?

Friederike: Ja, man muss sich überwinden und es macht auch nicht immer Spaß, aber das Projekt ist es wert.

Sie fordern mehr Unterstützung für alternative Wohnprojekte. Warum sollte die Stadtverwaltung das tun?

Luise: Weil auch die Gesellschaft davon profitiert, wenn Menschen sagen, wir machen uns selber die Arbeit und schaffen bezahlbaren Wohnraum. Das ist doch eine Win-Win-Geschichte. Deshalb verstehe ich nicht, warum die Stadt da nicht offener ist.

Kürzlich haben langjährige Mieter in der Grimmstraße darum gerungen, drei Häuser, die zum Verkauf standen, behalten zu dürfen. Offenbar ohne Erfolg.

Luise:Die Mieterschaft, die dort schon jahrzehntelang wohnt, wollte verhindern, dass die Kommunale Wohnungsgesellschaft die Häuser verkauft. Die Leute hatten sich ein Modell überlegt nach dem Genossenschaftsprinzip, aber es war nicht umsetzbar.

Die Kowo hat den Mietern ein Vorkaufsrecht eingeräumt.

Luise: Das finde ich immer ein bisschen zynisch, wenn den Mietern ein Höchstbetrag vor die Nase gesetzt wird und dann kann man bezahlen oder eben nicht. 1.400 Euro pro Quadratmeter für unsanierten Altbau ist keine Seltenheit. Es ist doch völlig klar, dass man da nicht mithalten kann. Das Zugeständnis ist doch mehr eine Symbolgeste. Die Grimmstraße zeigt, was in Erfurt häufiger vorkommt, dass Mieter aus ihren Häusern gedrängt werden.

Ist das nicht ein bisschen Panikmache?

Luise: Nein, genauso passiert das. Die Leute stehen bei uns in der Sprechstunde. Denen flattert ein Brief ins Haus, ziehen sie in einem halben Jahr aus, oder zahlen sie ein Drittel mehr Miete. Dabei vergisst man, dass es sich um Leute handelt, die 60 oder 70 Jahre alt sind und oft gar nicht mehr die Kraft haben, sich zu wehren.

 

Sie werden keine Fraktion im Erfurter Stadtrat finden, die das gutheißt.

Luise: Alle Fraktionen haben sich mit dem Thema befasst, das will ich gar nicht bestreiten. Aber ich sehe noch kein Umdenken. Die Stadt verscherbelt ihre Häuser wegen eines schnellen Geldsegens, mit dem der Haushalt saniert werden soll. Wohnungen sind aber ein zu kostbares Gut, das sollte keine Stadt freiwillig aus der Hand geben. Deshalb haben wir uns auch im Bündnis „Erfurt für alle“ zusammengeschlossen und sagen: So nicht!Wenn wir viele sind, können wir lauter sein und werden von der Stadtpolitik eher ernst genommen.

Waren Sie immer schon so ein Kämpfergeist?

Luise: Das war überhaupt nicht der Plan. Aber ich sehe, dass bei den Vergaberichtlinien etwas mächtig schiefläuft. Ich möchte kein Erfurt, wo es ganze Viertel mit Eigentumswohnungen gibt und am Stadtrand wohnen die mit dem geringen Einkommen und die Sozialhilfeempfänger. Es ist die Frage: für wen ist die Stadt da?

Ihr Plan ist doch aber auch, Mietshäuser zu kaufen.

Luise: Ja, aber nicht, um damit Rendite zu machen. Wir kümmern uns um leerstehende Häuser, damit sie eben nicht zu einem Spekulationsobjekt werden. Unsere Absicht ist nicht, daran zu verdienen, sondern Wohnraum für den Normalbürger zu „retten“.

Was bedeutet es, so ein großes Haus gemeinschaftlich zu verwalten? 

Friederike: Dass wir über Dinge selbst entscheiden können, die in anderen Mietverhältnissen schon vorgegeben sind. Wo kommt die Wohnküche hin, was soll mit dem alten Waschhaus passieren? Wir können unseren Wohnraum in einem Maße mitgestalten, wie das sonst nicht möglich wäre. Unser Quadratmeterpreis liegt bei vier Euro Neunzig. Wir können die Miete so gestalten, dass sie sozial verträglich ist und bleibt. Mir war es total wichtig einen Ort zu schaffen für Leute, die sonst auf dem Wohnungsmarkt nicht so gute Chancen haben. Da würde ich mich als Bafög beziehende Studentin dazu zählen.

In Thüringen gibt es Dutzende gemeinschaftliche Wohnprojekte. Sie alle stehen vor der Aufgabe unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu kriegen. Wie schafft man das?

Luise: Auch wenn wir noch auf Haussuche sind, wir mussten trotzdem schon regeln, wie gehen wir miteinander um, wie kommen wir zu Entscheidungen? Wir sind eine ziemlich bunte Truppe, zu uns gehören 20-Jährige und über 50-Jährige, Verheiratete und Alleinstehende mit Kindern, manche wollen eine abgeschlossene Wohnung, andere eine WG.  Der eine will direkt an der Straße wohnen, der andere nicht. Das sind Sachen, die man miteinander aushandeln muss.

Das klingt aber ziemlich anstrengend.

Friederike: Na klar, es kann unfassbar anstrengend sein, eine Entscheidung zu finden, mit der alle zufrieden sind. Wir praktizieren das in unserem „Schloss“ ja schon ein Jahr lang. Aber wir sind mehr als ein paar Leute, die in einem Haus zusammenleben, wir verstehen uns auch als solidarische, hierarchiefreie Gemeinschaft.

Und das heißt?

Friederike: Das bedeutet, dass wir Entscheidungen nur im Konsens treffen, nicht nach dem Mehrheitsprinzip. Wir haben jede Woche ein Hausplenum, da kommen alle, die Zeit haben und da werden sämtliche Entscheidungen getroffen, zum Beispiel, wo man im Haus rauchen darf und ob wir wieder zusammen einen Kurzurlaub machen? Das heißt nicht, dass alle eine Entscheidung hundertprozentig toll finden müssen, aber alle müssen sie mittragen können, so dass es für sie in Ordnung geht.

Sie kämpfen darum, dass der Haussegen nicht schief fängt?

Friederike: Die Idee ist, dass alle mitgenommen werden, so dass das Gruppengefühl erhalten bleibt. Wenn eine Entscheidung – zum Beispiel zum Reinigungsplan – mit vier zu zwei Stimmen getroffen würde, hat die Hälfte der Gruppe keinen Bock darauf und fühlt sich übergangen. Das ist genau das, was wir nicht wollen, deshalb müssen wir schon manchmal sehr lange diskutieren.

Das haut immer hin?

Friederike: Wir hatten auch schon ein paarmal den Punkt, da wurde ein „Veto“ ausgesprochen. Wo Jemand sagte, das ist für mich die Grenze, da geh ich nicht mehr mit. Dann ist diese Option für das ganze Haus vom Tisch und wir suchen nach einer neuen Lösung. Das klappt manchmal und manchmal klappt es nicht, so ist das Leben.

Was Sie da über Etagen hinweg praktizieren, wäre ja auch ein Demokratiemodell für jede Familie …

Friederike: Wir machen uns einfach sehr viel Gedanken darüber, wo gibt es Probleme, wo bilden sich Fronten?  Man muss Konflikte aussprechen, bevor sie aushärten.

… zum Beispiel, wenn wieder keiner den Abwasch gemacht hat?

Friederike: Das sind die üblichen WG-Konflikte, einer hat schon zehnmal Klopapier gekauft, der andere noch gar nicht. Das ist normal, das kommt in jeder WG vor.

Wie viele Menschen teilen sich bei Ihnen denn eine Küche?

Friederike: Im Moment sind es neun Erwachsene, weil wir noch am Bauen sind. Zwei Familien haben ihre eigene Küche.

Puh, neun Erwachsene …

Friederike: Wir haben zwei Kochherde nebeneinander gestellt… zu den Stoßzeiten abends muss man manchmal schon etwas jonglieren, aber meistens kriegen wir das ganz gut geregelt. Oftmals passiert es, dass man reinkommt und jemand sagt, setzt dich doch hin und iss mit, ich habe noch was übrig. Das ist der Vorteil einer WG-Küche. Das fühlt sich so angekommen an…

Luise: Nur weil man gemeinschaftlich wohnt, muss man nicht mit allen ganz dicke sein, aber es baut sich eine Vertrautheit auf, man gewöhnt sich an die Eigenheiten des anderen.

Friederike: Und es ist wunderbar, wenn man aus dem Urlaub wiederkommt und fünf Leute sagen, hey, schön, dass du wieder da bist. Das sagt einem eine leere Wohnung nicht.

 

Wenn Sie selbst einmal Familie haben, können Sie sich dann auch noch so eine Wohnform vorstellen?

Luise: Na, auf jeden Fall. Wenn Kinder so eine Gemeinschaft erleben können, das ist doch total bereichernd. Wenn sie sehen, wie man sich gegenseitig unterstützen kann. Das ist es ja, was für viele im Alltag ein Problem ist, wie organisiere ich das mit den Kindern?

Friederike: Es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, da sind noch ein paar andere Leute, auf die kann ich mich verlassen.

Luise: In unserem künftigenWohnprojekt sind durchaus mehrere Leute, die ein festes Einkommen haben und nicht gezwungen sind, sich aus Kostengründen auf so eine Gruppe einzulassen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, spielt der Wunsch, nicht allein zurück zu bleiben, offenbar eine große Rolle. Die haben noch mal Lust auf was anderes.

Da wohnen dann ja auch Leute mit vielen unterschiedlichen Fähigkeiten zusammen.

Friederike: Was der eine nicht kann, kann der andere. Aber ich möchte das nicht nur aufs Handwerkliche beziehen. Ich bin ein ziemlich verkopfter Mensch und habe hier gelernt, viel offener zu sein. Der Austausch ist nicht nur, kannst du mir mal ein Regal an die Wand nageln … sondern einfach so viel mehr.

Was sind so Ihre nächsten Ziele?

Luise: Wir wollen im Jahr 2018 endlich ein geeignetes Haus finden. Und natürlich wollen wir im Bündnis „Erfurt für alle“ eine starke Stimme sein. Auf der einen Seite schätzt man unser Engagement, auf der anderen Seite merken wir schon, dass alternative Wohnmodelle kommunalpolitisch gar nicht so gewollt sind. Wir werden noch viel Kraft brauchen.

Friederike: Bei uns steht was ganz Praktisches an. Wir müssen einen Unterstand zimmern, wo wir das Holz lagern, mit dem wir den ganzen Winter heizen. Ich muss jetzt aber weg …

Warum?

Friederike: Wir wollen gleich unsere erste Betriebskostenabrechnung diskutieren. Da werden wir sehen, kommt das ungefähr hin, was wir kalkuliert haben? Ich bin gespannt!

 

Für die Einblicke bedankt sich: Birgit Vogt

 

Unsere Gesprächspartnerin Friederike ist 20 Jahre alt und Studentin der Rechtswissenschaft

Luise ist 28 Jahre alt und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache

Im „offenen Brief“, den der Wohnopia e.V. an die Stadtverwaltung geschrieben hat, lauten die Hauptforderungen:

  • Stopp des Verkaufs sämtlicher städtischer Wohnimmobilien
  • Keine Mieterhöhungen zu Gewinnzwecken
  • Berücksichtigung von kooperativen Wohnprojekten, die nicht renditeorientiert wirtschaften
  • Transparenz in der Vergabepolitik

Wer bei Wohnopia mitmachen will: Treff ist jeden letzten Donnerstag in der Lassallestraße50; info@wohnopia.de

Thüringenweit gibt es mindestens 60 kooperative Wohnprojekte, weshalb man schon von einer neuen „Gründerzeit“ spricht